Das Bautagebuch ist ein wichtiges Dokument für den Bauherrn

Der bauleitende Architekt/Ingenieur sollte unbedingt ein Bautagebuch führen. Es ist für den Auftraggeber unverzichtbar, weil es die Leistungen, Lieferungen und Tätigkeiten der Bauunternehmen sowie die jeweiligen Arbeitsbedingungen auf der Baustelle dokumentiert. Im Falle eines Rechtsstreits dient es als wichtiges Beweismittel. Ein vereinbartes, aber fehlendes Bautagebuch berechtigt den Auftraggeber zur anteiligen Honorarkürzung. Aber auch der Architekt/Ingenieur kann vom Bautagebuch profitieren. Mit seinen Aufschrieben könnte er beispielsweise sein eigenes Haftungsrisiko aus der Bauüberwachung ausschalten.


1. Vorbemerkungen

Viele Architekten und Ingenieure bleiben einen Teil der übertragenen Leistungspflichten schuldig.1) Auffallend ist hier insbesondere das Bautagebuch. In der Regel wird es zwar vertraglich als Grundleistung beauftragt, von den freiberuflich Tätigen aber eher stiefmütterlich behandelt. Oft fehlt es ganz oder es ist lückenhaft und damit unbrauchbar. Es scheint auch so zu sein, dass nicht alle Auftraggeber den Gebrauchswert eines Bautagebuchs erkennen und es trotz Vereinbarung nicht einfordern. Dabei kann das Bautagebuch für den Auftraggeber ein wichtiges Beweismittel sein, insbesondere im Falle eines Bauprozesses. Ohne ein Bautagebuch kann der Auftraggeber auch nicht prüfen, ob die Bauüberwachung ordnungsgemäß erledigt wurde.


In einem Vorlesungsmanuskript der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität München ist folgender Satz aufgefallen: „Sie sind regelmäßig vor Ort und koordinieren die laufenden Arbeiten im Detail, beantworten Fragen und dokumentieren den Ablauf Schritt für Schritt schriftlich in Ihrem Bautagebuch und mit Fotos.“2) Das scheint die Ausbildungs-Theorie der Architekturstudenten zu sein – wenn es in der Praxis nur auch so wäre. Die staatlichen Prüfungsbehörden stellen nämlich im Rahmen der Bauprüfung regelmäßig fest, dass Architekten/Ingenieure die beauftragte Grundleistung „Führen eines Bautagebuchs“ nicht oder nur unzureichend erbracht haben bzw. solche Dokumente bei der Verwaltung nicht vorliegen. Das gilt für den kommunalen Bereich,3) aber auch für Bauten der Bundesländer4) und des Bundes.5)


Man könnte glauben, das Bautagebuch sei eher unbeliebt, weil zeitraubend. Aber wissen die Architekten/Ingenieure eigentlich, was auf sie haftungsrechtlich oder honorarmäßig zukommen kann, wenn sie das Bautagebuch nicht führen? Die öffentlichen Auftraggeber – Bund, Länder und Kommunen – wickeln ihre Bauvorhaben nach schematischen Verwaltungsverfahren ab und verwenden eigene Vertragsmuster und Formulare. An dieses Verfahrensschema haben sich die Architekten/Ingenieure aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen mit den Auftraggebern zu halten. Die folgenden Ausführungen gelten nicht nur für die öffentlichen Auftraggeber, sondern auch für den privaten Bauherrn.


2. Aus dem Vertrag ergeben sich die Pflichten des Architekten/Ingenieurs

Das Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Architekt/Ingenieur unterliegt dem Werkvertragsrecht nach §§ 631-651 BGB. Wesen des Werkvertrages ist, dass die Herbeiführung eines Erfolges bzw. die Herstellung eines Werkes geschuldet wird. Für die Vergütung gilt die HOAI. Das Werk des Architekten/Ingenieurs ist nicht mit dem Bauwerk gleichzusetzen, vielmehr ist das Werk des freiberuflichen Planers ein geistiges Werk, das sich im Bauwerk niederschlägt. Dazu sind vielerlei schriftliche und zeichnerische Unterlagen zu fertigen und an den Auftraggeber zu übergeben. Das scheint vielen freiberuflich Tätigen noch immer nicht bewusst zu sein, die auch noch heute von der erfolgsorientierten Planung ausgehen.6)


Was der Architekt/Ingenieur dem Auftraggeber schuldet, ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Nach den in der staatlichen Praxis eingeführten Mustern für Architekten- und Ingenieurverträge werden die preisrechtlichen Leistungsbilder der HOAI vertraglich vereinbart und damit als Auftragsumfang verbindlich festgelegt.7) Die Leistungsbilder der HOAI folgen grundsätzlich einem üblichen Planungs- und Bauablauf. Deshalb spricht auch nichts dagegen, Leistungen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Vertrages im Allgemeinen erforderlich sind, mit dem Preisrecht zu verbinden. Auf diese Weise kann der Preis-Leistungsordnung der HOAI einvernehmlich die Funktion einer Vertragsordnung zugewiesen werden.8) Zwar haben sich die Architekten- und Ingenieurkammern mit der neuen BGH-Rechtsprechung wohl zwangsläufig „anfreunden müssen“, manche Kammern beraten ihre Mitglieder allerdings dahingehend, in den Verträgen eine Bezugnahme auf die Leistungsphasen der HOAI zu vermeiden. Offensichtlich soll dadurch die neue Rechtsauslegung des BGH umgangen werden; nach Auffassung des Autors eine sehr fragwürdige Empfehlung.


Der BGH hat in seinem Urteil vom 24.6.2004 unmissverständlich klargestellt: „Eine an den Leistungsphasen des § 15 HOAI orientierte vertragliche Vereinbarung begründet im Regelfall, dass der Architekt die vereinbarten Arbeitsschritte als Teilerfolg des geschuldeten Gesamterfolgs schuldet.“ Die Kommune als Auftraggeberin wird im Regelfall ein Interesse an den Arbeitsschritten haben, die als Vorgaben aufgrund der Planung des Architekten/Ingenieurs für den Bauunternehmer erforderlich sind, damit er diese Planung vertragsgerecht umsetzen kann. Sie wird auch regelmäßig ein Interesse an den Arbeitsschritten haben, die ihr eine Kontrolle ermöglicht, ob der Architekt/Ingenieur den geschuldeten Erfolg vertragsgemäß bewirkt hat und die sie in die Lage versetzt, etwaige Gewährleistungsansprüche gegen Bauunternehmer durchzusetzen.


Auf der Grundlage der bisherigen HOAI 1996 wurde in aller Regel bei der Leistungsphase „Objektüberwachung/Örtliche Bauüberwachung“ das volle Leistungsbild aus §§ 15 Abs. 2 Nr. 8, 57 Abs. 1 Nr. 3 und 73 Abs. 3 Nr. 8 HOAI übertragen. Damit schuldet der Architekt/Ingenieur auch die Grundleistung „Führen eines Bautagebuchs“, und zwar als vertragliche Hauptverpflichtung.9) Er schuldet diese Grundleistung lediglich dann nicht, wenn sie im Architekten-/Ingenieurvertrag ausdrücklich ausgenommen und somit nicht übertragen war. Wegen der Bedeutung des Bautagebuchs sollte es allerdings die Regel sein; es ist dem Bauherrn zwingend zu übergeben.10) Lediglich bei kleineren Baumaßnahmen kann eventuell darauf verzichtet werden. Beispielsweise besteht der Bundesrechnungshof bei Baumaßnahmen mit einem Auftragsvolumen von weniger als 50.000 € auf keinem Bautagebuch.


Nach der nun am 18.8.2009 in Kraft getretenen neuen HOAI, BGBl. I S. 2732, hat sich am sachlichen Inhalt der Leistungsphase „Objektüberwachung/örtliche Bauüberwachung“ nichts geändert. Während die einzelnen Leistungen bisher durchgängig im Verordnungstext enthalten waren, sind sie nun in Anlagen zur HOAI aufgelistet. Das Führen eines Bautagebuchs gehört weiterhin zum Leistungsbild der Objektüberwachung. Bei Gebäuden, Freianlagen und raumbildenden Ausbauten gilt das Bautagebuch nach Anlage 11 zu §§ 33 und 38 Abs. 2 als Grundleistung. Gleiches gilt nach Anlage 14 zu § 53 Abs. 1 bei der Technischen Ausrüstung. Bei Ingenieurbauwerken und Verkehrsanlagen ist das Bautagebuch gemäß Nrn. 2.8.8 und 2.9 der Anlage 2 zu § 3 Abs. 3 jetzt eine Besondere Leistung.


3. Das Bautagebuch ist ein wichtiges Beweismittel

Die Leistung „Führen eines Bautagebuchs“ dient insbesondere Beweiszwecken. Das Bautagebuch soll die vielfältigen Bauvorgänge für den Auftraggeber beweisbar festhalten. Sofern das Bautagebuch nicht sorgfältig geführt wird und der Auftraggeber dadurch einen Nachteil erleidet, indem er beispielsweise Schadenersatzansprüche gegen einen Unternehmer nicht durchsetzen kann, wird der Architekt/Ingenieur u. U. gewährleistungspflichtig sein. Damit dient das Bautagebuch im Besonderen den Interessen des Bauherrn und soll in zuverlässiger Weise Leistungen, Lieferungen und Tätigkeiten der verschiedenen Unternehmer sowie die jeweiligen Arbeitsbedingungen auf der Baustelle dokumentieren. Ein Bautagebuch ist auch nicht einfach bedeutungslos oder eine persönliche Angelegenheit des Architekten/Ingenieurs.11) Selbst wenn das Bautagebuch persönliche Notizen des Bauleiters als eigene Gedächtnisstützen enthält, ist es ein Beweismittel für eventuelle gerichtliche oder außergerichtliche Auseinandersetzungen und ist schon deshalb dem Bauherrn zwingend auszuhändigen.12)


Das Bautagebuch darf nicht mit den sog. Bautagesberichte der Bauunternehmen verwechselt werden, die entsprechend den Bauverträgen je Gewerk zu führen und dem Auftraggeber zu übergeben sind.13) Die Bautagesberichte unterscheiden sich sowohl inhaltlich als auch konzeptionell vom Bautagebuch. Während Bautagesberichte eines Bauunternehmers detaillierte Angaben speziell für die Ausführung seiner eigenen Bauleistungen enthalten, bezieht sich das Bautagebuch des Bauleiters auf das gesamte Bauobjekt. Eine bauvertragliche Vereinbarung mit dem Bauunternehmer zur Führung und Übergabe von Bautagesberichten entbindet demnach den beauftragten Architekten/Ingenieur nicht vom Führen eines Bautagebuchs, weil sich das Bautagebuch als vereinbarte Leistung aus dem Planungsvertrag ergibt und es eine ganz andere Zielrichtung als die Bautagesberichte hat.


4. Inhalt und Form eines Bautagebuchs

4.1 Diese Angaben sind wichtig

Zu Inhalt und Form eines Bautagebuchs ergibt sich nichts aus der HOAI. Die öffentlichen Auftraggeber haben eigene Regelungen, z.B. beim Bund die „Richtlinie zu 411 – Bautagebuch – im Vergabe- und Vertragshandbuch für die Baumaßnahmen des Bundes – VHB 2008“.14) Der notwendige Inhalt eines Bautagebuchs bestimmt sich im Wesentlichen danach, welchen Nutzen ein solches Dokument haben soll. Das Bautagebuch dokumentiert den wesentlichen Ablauf der Baumaßnahme, es dient dem Auftraggeber aber auch zur Kontrolle der beauftragten und honorierten Leistungsphase „Bauüberwachung“. Außerdem kann ein Bautagebuch auch ein Beweismittel sein, beispielsweise wenn Bauunternehmen Nachtrags- oder Ersatzforderungen (z.B. Forderungen nach § 6 Nr. 6 VOB/B oder § 642 BGB wegen Bauzeitverzögerungen) oder aber Dritte Schadenersatz nach § 823 BGB (z.B. wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht) fordern. Im Bautagebuch ist die „Geschichte des Baus“ tageweise aufzuzeichnen. Dadurch kann der Bauherr im Detail darlegen und beweisen, wie das Bauvorhaben durchgeführt wurde. Ohne diese Quelle wäre weder eine zielgerichtete Fehlersuche noch eine erfolgreiche Durchsetzung von Mängelansprüchen möglich.15) Mit seiner bauinhaltlichen Überwachungspflicht muss der Bauleiter sicherstellen und dokumentieren, dass keinerlei Bauausführung ohne fachkundige Inhaltskontrolle erfolgt und durch nachfolgende Leistungen verdeckt wird.


Ein Bautagebuch sollte zumindest Dokumentationen zu folgenden wesentlichen Punkten enthalten:

a) Beschreibung der Bauleitertätigkeiten

Das Bautagebuch erbringt wichtige Erkenntnisse über die Abwicklung der Baustelle mit der Darstellung aller Besonderheiten während des Bauablaufs. Ein wesentlicher Schwerpunkt sollte die Qualitätssicherung durch Augenschein und deren Dokumentation sein. Wichtige Bauabschnitte, z.B. Leitungen, Materialien und eingebrachte Schichten, die später nicht mehr zugänglich sind, müssen kontrolliert und das Ergebnis ins Bautagebuch eingetragen werden. Wichtige Daten sind auch Witterungsverhältnisse, die Termine und Ergebnisse von Baubesprechungen, Einweisung von Firmen in ihre Arbeit, Abnahme und Übergabe der fertig gestellten Arbeiten und die Mängelbeseitigung. Arbeiten, die über Nachträge, Rapporte und Lieferscheine abgerechnet werden, sollten aufgeführt werden. Bei Nachträgen können zudem die in den Kalkulationen angegebenen Zeiten überprüft werden. Auch bei strittigen Stundenabrechnungen können die Aufzeichnungen im Bautagebuch als Nachweis gelten.16)


b) Beschreibung von Bauablaufstörungen

Die Dokumentation etwaiger Bauablaufstörungen kann für den Auftraggeber von Bedeutung sein. Deshalb sind Eintragungen über Baubeginn und Abschluss der Arbeiten der einzelnen Unternehmen wichtig, um festzustellen, ob sie sich im Terminplan oder in Verzug befinden. Auch ein schleppender Baufortschritt17) sowie die Gefahr des Überschreitens von Ausführungsfristen sind unter Angabe der Gründe im Bautagebuch zu vermerken. Weiterhin kann das Bautagebuch auch als Grundlage für die Kontrolle der Baukosten herangezogen werden. Gab es technische Schwierigkeiten, mit denen man nicht rechnen konnte? Gab es jahreszeitliche Probleme? Gab es Sonderwünsche des Bauherrn? Diese und alle sonstigen Probleme können die Baukosten erhöhen.


Ein sorgfältig geführtes Bautagebuch könnte sich aber auch für den Architekten/Ingenieur als vorteilhaft erweisen, wenn sich die Objektüberwachung durch Umstände wesentlich verzögert, die er nicht zu vertreten hat. Hier könnte er seine Ansprüche auf eine zusätzliche Vergütung wegen nachweislich erforderlicher Mehraufwendungen mit geeigneten Einträgen im Bautagebuch selbst belegen.18) Voraussetzung hierfür ist allerdings eine klare vertragliche Vereinbarung, weil es in der HOAI keine entsprechende Regelung gibt.19)


c) Beschreibung sonstiger wesentlicher Ereignisse

Der Auftraggeber benötigt letztlich auch Nachweise zu besonderen baustellenbezogenen Ereignissen oder Vorkommnissen. Das können beispielsweise sein: Eigenmächtig vom Bauvertrag abweichende Leistungsänderungen der Bauunternehmer, Beschädigungen bereits ausgeführter Bauleistungen, Unfälle auf der Baustelle, Anordnungen der Bauaufsichtsbehörde, Wechsel in der Firmenbauleitung, vereinbarte Leistungsänderungen oder wichtige Kontrollprüfungen.


4.2 Form

Neben einschlägigen Formularen gibt es für das Bautagebuch auch entsprechende Software für den PC oder für mobile Geräte (Pocket PCs, Handhelds), teilweise auch als kostenlose Downloads im Internet. Die öffentlichen Auftraggeber schreiben in aller Regel ein bestimmtes Formblatt vor.


Im Rahmen seiner Bauüberwachung muss der Bauleiter nicht täglich auf der Baustelle sein, weil er Eintragungen ins Bautagebuch vornehmen muss. Er muss also nicht zu jeder Zeit an jeder Stelle sein. Allerdings hat er das Bautagebuch dann und insoweit zu führen, als er eine Überwachungstätigkeit schuldet.20) Zu welchem Zeitpunkt er das Bautagebuch zu übergeben hat, ist vertraglich zu vereinbaren, z.B. tägliche oder wöchentliche Übergabe einzelner Tagesblätter oder die Übergabe des kompletten Bautagebuchs erst nach der Baufertigstellung. Das Bautagebuch ist eine wichtige Unterlage zur rechtlichen und fachlichen Beurteilung des Baugeschehens, weshalb es unbefristet aufbewahrt werden sollte.21)


5. Fehlt das Bautagebuch, gibt’s weniger Honorar

Sofern ein Architekt/Ingenieur die geschuldete Leistung „Führen eines Bautagebuchs“ pflichtwidrig nicht erbracht hat, ist seine Arbeit insoweit unvollständig bzw. mangelhaft. Dem Auftraggeber entstehen daraus Mängelansprüche nach den §§ 633 ff. BGB in Form der Minderung der Vergütung nach den §§ 634 Nr. 3 und 638 BGB.22) Zwar kann die Minderung als sog. sekundärer Mängelanspruch grundsätzlich nur geltend gemacht werden, wenn zuvor Nacherfüllung mit Fristsetzung verlangt wurde, jedoch ist eine Aufforderung zur Nacherfüllung dann entbehrlich, wenn eine solche nicht mehr möglich ist oder die Nacherfüllung für den Auftraggeber wertlos wäre. Dies trifft auf das Bautagebuch zu, denn es ist baubegleitend zu führen und kann nachträglich nicht mehr zuverlässig erstellt werden.23) Vielmehr ist es grundsätzlich in derjenigen Leistungsphase zu erbringen, der es in der HOAI zugeordnet ist.24) Einem Auftraggeber, der Minderung geltend macht, kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe den Architekt/Ingenieur nicht rechtzeitig zur Führung des Bautagebuchs angehalten.25)


Nachdem in den Leistungsbildern der HOAI nur ganze Leistungsphasen prozentual bewertet sind, kann eine Honorarminderung wegen einer nicht erbrachten Leistung nach § 638 Abs. 3 Satz 2 BGB nur durch Schätzung ermittelt werden. Als Orientierungshilfe für die Bewertung einzelner nicht erbrachter Leistungen innerhalb der Leistungsphasen hat der BGH die einschlägigen Honorartabellen anerkannt.26) Geeignet sind beispielsweise die sog. Steinfort-Tabelle27) oder andere Bewertungstabellen.28) Auch die neueren Siemon-Tabellen sind hier zu nennen.29) Die geänderte Rechtsprechung des BGH zum Nachweis der vereinbarten Leistungen hat sich inzwischen in der Judikatur30) und in der vielfältigen Fachliteratur, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, etabliert.


In der Steinfort-Tabelle ist das Bautagebuch bei Gebäuden, Freianlagen und raumbildenden Ausbauten mit 1,55 Prozent bewertet, aus der Siemon-Tabelle ergeben sich 0,1-0,7 Prozent. Die Rechtsprechung geht bei fehlendem Bautagebuch von einer Minderung des Architektenhonorars um 0,5 Prozent des Gesamthonorars aus.31) Für Ingenieurbauwerke und Verkehrsanlagen nennen weder Steinfort noch Siemon einen Prozentsatz. Die Brandenburgische Ingenieurkammer sieht hier eine Kürzung um 6-9 Prozent vor, bezogen auf das Honorar der Bauüberwachung.32) Bei Leistungen der Technischen Ausrüstung bewertet Siemon das Mitwirken beim Führen des Bautagebuchs mit 1,2-1,8 Prozent des vollen Honorars.


6. Das Bautagebuch kann das Haftungsrisiko des Planers mindern

Mancher Bauleiter wird das Führen des Bautagebuchs auch als lästige und stupide Tätigkeit empfinden, weil er wiederkehrende Prozesse erneut aufschreiben muss. Man könnte deshalb auch auf die Idee kommen, sich die Mühe mit dem Bautagebuch zu sparen, weil die drohende Honorarkürzung als gering erscheint. Eine solche Überlegung sollte der Architekt/Ingenieur im eigenen Interesse aber sofort wieder verwerfen, denn sein eigenes Haftungsrisiko wird dadurch erheblich gesteigert. Sofern nämlich ein Bauwerk Mängel aufweist, stellt sich auch die Frage, ob die Bauüberwachung mangelhaft war oder den Mangel begünstigt hat und ob deshalb den mit der Bauüberwachung beauftragten Architekten/Ingenieur ein Mitverschulden trifft. Der Architekt/Ingenieur hat es selbst in der Hand, mit dem Bautagebuch den Nachweis einer ordnungsgemäßen Bauüberwachung zu erbringen33) und dadurch sein Haftungsrisiko zu mindern.34) Hier kommt der Dokumentation in einem sorgfältig geführten Bautagebuch entscheidende Bedeutung zu.35) Bei einer nachgewiesenen ordnungsgemäßen Bauüberwachung scheidet eine Mithaftung des Planungsbüros nämlich aus.36)


7. Zusammenfassung

Die Auftraggeber sollten die freiberuflich Tätigen ausnahmslos zum Führen eines Bautagebuchs verpflichten und es auch einfordern. Sofern der Architekt/Ingenieur seine Pflicht nicht erfüllt, ist das Honorar anteilig zu kürzen. Die Vorteile des Bautagebuchs sind vor allem bei Streitfällen evident. Mit ihm lässt sich der Bauablauf lückenlos rekonstruieren und beweisen. Im Falle eines nachgewiesenen Bauschadens muss sich der Architekt/Ingenieur exkulpieren, will er nicht selbst schadenersatzpflichtig werden. Dem Bautagebuch kommt hier die entscheidende Bedeutung zu, eine mängelfreie Bauüberwachung zu dokumentieren.


  1. Siehe dazu ausführlich, Ruff, Der Leistungsumfang und das Honorar des HOAI-Planungsvertrages, BWGZ 2008, 66.

  2. www.bri.ar.tum.de/lehre/Skripte/skript_2007/brivo10_01.pdf.

  3. So Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg, Mitteilung Bau 6/2006; Revisionsamt Stadt Frankfurt a.M., Schlussbericht zur Prüfung der Jahresrechnung 2005, S. 148 und 157, www.frankfurt.de/sixcms/media.php/738/SBProzent202005Prozent20Internet.pdf; Rechnungshof der Freien Hansestadt Bremen, Jahresbericht 2006 über die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung und der Haushaltsrechnung 2004 Freie Hansestadt Bremen (Stadt), S. 56 und 71, www.rechnungshof.bremen.de/sixcms/media.php/13/JB-Stadt-2006.pdf; Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern, Jahresbericht 1999 zur überörtlichen Prüfung, S. 299, www.lrh-mv.de/land-mv/LRH_prod/LRH/Veroeffentlichungen/Jahres-_und_Sonderberichte/Jahresberichte/jb1999.pdf.

  4. Z.B. Hessischer Rechnungshof, Bemerkungen 2004 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes Hessen, S. 157; www.rechnungshof-hessen.de/veroeffentlichungen/veroeffentlichungen_hrh/bemerkungen-2004.pdf; Rechnungshof Rheinland-Pfalz, Jahresbericht 2005, S. 133, www.rechnungshof-rlp.de/JB05.pdf.

  5. Empfehlungen des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Band 11, Bonn 2004, S. 82, http://bundesrechnungshof.de/bundesbeauftragter-bwv/bwv-baende/bwv_band11.pdf.

  6. Siehe dazu Ruff, a.a.O.

  7. Siehe z.B. die kommunalen Vertragsmuster in Baden-Württemberg; BGH, Urteil v. 26.7.2007 – VII ZR 42/05, BauR 2007, 1761. Siehe dazu Quack, Warum die Vereinbarung der HOAI als Vertragsinhalt den Architekten schadet, BauR 2008, 1 und Neufeld, Entgegnung zu Quack, BauR 2008, 1357.

  8. BGH, Urteil v. 24.6.2004 – VII ZR 259/02, BauR 2004, 1640.

  9. Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 6. Auflage, § 15 Rdnr.175.

  10. Siehe z.B. § 5 Nr. 5.1.3 des beim Land Baden-Württemberg üblichen RifT-Musters L210, Vertrag Gebäude.

  11. OLG Celle, Urteil v. 11.10.2005 – 14 U 68/04, BauR 2006, 1161; so auch Morlock/Meurer, Die HOAI in der Praxis, 3. Auflage 2002, S. 73, wonach das Bautagebuch eine wichtige Leistung ist.

  12. Mitteilung der Architektenkammer NRW an seine Mitglieder, www.aknw.de/mitglieder/berufspraxis/rechtsprechung/urteile_sortiert/?modus=recht_detail&id=138.

  13. Beispiel für die Kommunen in Baden-Württemberg: Besondere Vertragsbedingungen – KEVM(B)BVB – aus Teil II des KHVB-Bau.

  14. www.bmvbs.de/Anlage/original_1053211/VHB-2008-Lesefassung.pdf.

  15. Preussner, Die Leistungspflichten des Architekten, wenn eine konkrete Leistungsbeschreibung fehlt, BauR 2006, 898.

  16. OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.12.2002 – 21 U 106/02, BauR 2003, 887.

  17. OLG Düsseldorf, Urteil v. 18.2.2000 – 22 U 140/99, BauR 2001, 812.

  18. So auch Anhang 10 BMVBW 2005 Nr. 2.7 und Anhang 11 BMVBW 2005 Nr. 2.9 der Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes – RBBau, www.bmvbs.de/Anlage/original_981546/RBBau-18.-Austauschlieferung-Anhaenge-Sachwort.pdf.

  19. Siehe dazu auch Referat im Arbeitskreis IV, 1. Deutscher Baugerichtstag 2006, BauR 2006, 1592, 1613. Zum Schriftformerfordernis der Mehraufwandsregelung siehe BGH, Urteil v. 10.5.2007 – VII ZR 288/05, BauR 2007, 1592.

  20. Locher/Koeble/Frik, HOAI, 8. Auflage, § 15 Rdnr. 184.

  21. Beim Bund ist das Bautagebuch nach RBBau Abschnitt K 10 Nr. 3.4 sogar bis drei Jahre nach Veräußerung der Liegenschaft bzw. Beseitigung des Bauwerks aufzubewahren.

  22. BGH, Urteil v. 24.6.2004 – VII ZR 259/02, BauR 2004, 1640 und BGH, Urteil v. 28.7.2011 – VII ZR 65/10, BauR 2011, 1677.

  23. OLG Celle, Urteil v. 11.10.2005 – 14 U 68/04, BauR 2006, 1161; OLG Karlsruhe, Urteil v. 24.5.2006 – 9 U 113/05, BauR 2007, 1770.

  24. BGH, Urteil v. 11.11.2004 – VII ZR 128/03, BauR 2005, 400.

  25. OLG Hamm, Urteil v. 15.2.2005 – 21 U 27/04, BauR 2005, 1350.

  26. BGH, Urteil v. 16.12.2004 – VII ZR 174/03, BauR 2005, 588.

  27. GemHH 1980, 268.

  28. Siehe bei Pott/Dahlhoff/Kniffka, HOAI, Anh. III; Locher/Koeble/Frik, HOAI, Anh. 4; Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 6. Auflage 2004, § 5 Rdnr. 32.

  29. BauR 2006, 905 und www.architektenhonorar.de.

  30. Z.B. OLG Celle, Urteil v. 16.6.2005 – 14 U 247/04, BauR 2005, 1790.

  31. OLG Celle, Urteil v. 11.10.2005 – 14 U 68/04, BauR 2006, 1161; OLG Karlsruhe, Urteil v. 24.5.2006 – 9 U 113/05, BauR 2007, 1770. Das OLG Düsseldorf hat im Jahr 1999 eine Kürzung noch ablehnt, Urteil v. 17.6.1999 – 5 U 225/98, BauR 2000, 290.

  32. Arbeitshilfe für honorar- und vertragsrechtliche Verfahrensweisen, Stand 29.10.2007, S. 54, www.bbik.de/ik_web/(lhhkww45j1w0j2mnhe44n455)/ik-ftp/Dokumente/Arbeitshilfe_neu.pdf.

  33. LG Berlin, Urteil v. 23.11.2001 – 5 O 380/01, BauR 2003, 417; Kammergericht Berlin, Urteil v. 3.2.1998 – 15 U 8188, BauR 1999, 421.

  34. Interessante Ausführungen zur Haftung enthält die Broschüre der AXA-Versicherung AG „Architekten und Ingenieure, Risiko – Haftung – Versicherung“, März 2008, www.axa.de/servlet/PB/show/1130122/Architekten_und_Ingenieure.pdf.

  35. Z.B. OLG Bamberg, Urteil v. 19.7.2005 – 5 U 236/04, BauR 2005, 1792, bezüglich der Dokumentationspflicht der Bewehrungsabnahme durch den Tragwerksplaner.

  36. OLG Hamm, Urteil v. 30.10.2007 – 21 U 57/07, IBR 2008, 166.


© IKV Erwin Ruff 2011

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